Im Großen und Ganzen stimme ich Deinem Post zu. Hier noch ein paar Punkte hier und dort:
In Deutschland müssen Demonstration auch angemeldet werden (Ausnahme 'Spontanversammlungen').
Die Relation stimmt natürlich vorne und hinten nicht. Und ich habe mich da verschrieben. In der Praxis werden in Russland nur 1-Mann Veranstaltungen (meistens *) geduldet, alles darüber hinaus wird brutal beendet und Demonstranten verhaftet wenn das Thema der Machtelite nicht in den Kram passt - darauf wollte ich hinaus.
Die Gesetzeslage bzgl. Demos scheint der in Deutschland zu ähneln, in Praxis werden Versammlungen aber nach Anmeldung auch meistens verboten wenn sie nicht der politischen Leitlinie folgen. Diese Gesetze wurden in letzten Jahren offensichtlich immer mehr verschärft:
Russia: New Attack on Freedom of Assembly | Human Rights Watch
Wie das in Praxis aussieht kann man z.B. in diesem Channel sehen:
*
https://www.youtube.com/watch?v=03EjTHpXrYw
Und wenn es um Ukraine geht, kommen Spezialeinheiten:
https://www.youtube.com/watch?v=ENPglnPtJaU
https://www.youtube.com/watch?v=rCxf9MtTpsw
Und bloß nicht singen:
https://www.youtube.com/watch?v=XAufypxrFUo
oder sitzen:
https://www.youtube.com/watch?v=CG5LU1UU6mc&t=50s
Meiner Erfahrung nach ist der Grund für die 'Verstummung', dass man mit einem biographischen Hintergrund zu Russland bzw. zur Sowjetunion per se als Putinversteher und als 'Gehirngewaschener' bezeichnet und verstanden wird. Du willst gar nicht wissen, wie viele Leute immer noch mit der 'Die Russen kommen'-Keule ausholen - noch weit bevor Putin an der Macht war bzw. in der jetztigen Machtposition. Mittlerweile ich das noch schlimmer und ziemliche viele unterstellen einem Gefolgsamkeit zu Putin. Das bewegt sich dann alles schnell in Richtung Alltagsrassismus und wird all zu müßig ("ich habe nichts gegen XYZ-Ethnie, aber die haben meine Bekannte vergewaltigt/meinen Freund verkloppt/Demokratie angegriffen/etc).
Ähm, es tut mir zwar leid, dass du solche Erfahrungen machen musstest, aber es als "Rassismus" zu bezeichnen geht dann doch zu weit. Wenn du diese Geschichten deutschen / in DE lebenden Schwarzen oder Asiaten erzählen würdest, könnten sie wahrscheinlich nur herzlich drüber lachen, sorry.
Während WW2 gerieten deutsch- und japanisch-stämmige Amerikaner unter Generalverdacht. Aber nur Japaner wurden massenweise in Lager gesteckt. Du versteht worauf ich hinaus will, oder? [btw.
Wolgadeutsche wurden in der Soviet Union dagegen direkt zwangsumgesiedelt, enteignet und in Arbeitslager gesteckt]
Aber zu Putin. Du versucht ja gerade auch ein wenig zu relativieren, oder? Demonstrationsrecht, Krim-Annexion.
Das deutet zumindest für mich darauf hin, dass du einen gewissen Drang verspürst dich für Putin zu rechtfertigen. Dabei fordert das keiner. In meinen Augen müsstest du auch nicht zwangsläufig "'biased' [sein] da [du] geschichtlich und familiär vorbelastet" bist.
Und genau da sehe ich das Problem. Man neigt dann dazu den Konflikt aus einer moralischen Warte heraus zu bewerten ohne eben den völkerrechtlichen Hintergrund. Ich will hier auch keine Debatte über Rechtspositivismus eröffnen, aber manchmal driften moralgefärbte Ansicht und Recht auseinander.
Also das Argument ist extrem schwach. Ich würde mal gerne Artikel des Völkerrechts sehen, mit denen man die militärische Besetzung eines Gebiets zwecks hastiger Durchführung eines Referendums zum Anschluss des Gebiets an die besetzende Nation legitimieren könnte...
Dass wir wenig über das Referendum wissen, liegt auch daran dass keine internationalen Beobachter vor Ort waren (außer irgendwelchen europäischen Politikern von rechts außen).
Hinweise darauf, dass beim Referendum nicht alles sauber ablief gibt es genug. Sogar aus Putins Umgebung:
Krim-Referendum: Putins Menschenrechtsrat bestätigt Wahlfälschung auf der Krim
Du kannst ja gerne mit Beispielen Südsudan und Kosovo daher kommen. In beiden Ländern gab es jahrelang ethnisch motivierte Kriege in Ukraine gab es was? Die EM 2012? Dazu diesen in beiden oben genannten Beispielen Entscheidungen des Sicherheitsrats (also auch Russlands) als Grundlage der jeweiligen Staatsbildung.
Wie dem auch sei, den Punkt "I call it, like I see it" finde ich ziemlich problematisch, da wir, wie Du bereits angesprochen hast, wenige Informationen haben, auf die wir uns verlassen können. Es geht um einseitige Schuldzuweisungen, 'embedded reporter', undurchsichtige politischen Lagen und Säbelrasseln auf allen Seiten. Und da nicht in eine dogmatische und vermeintlich informierte Position zu verfallen, finde ich schwer. Und das auch, weil mir medial per 'spoon feeding' vermittelt wird, was ich nun zu denken habe. Vielleicht kommt auch der Abwehrreflex der Putinversteher oder des KGB-Botnetzes in den Kommentarspalten daher.
Zum "I call it like I see it": Ich brauche nicht alle Feinheiten des Völkerrechts zu kennen um einen Vergleich zum schottischen Referendum ziehen zu können und die Krim-Annexion als solche zu bezeichnen. Auch brauche ich nicht akribisch nach Details zu suchen, die der Annexion Legitimation verleihen könnten. Du bist mit deinen Argumenten nun auch relativ "luftig" geblieben, sorry.
Ein gutes Beispiel sollte hier der bereits erwähnte Flug MH-17 sein. Unmittelbar nach dem Absturz gab es direkt Zuordnung von Verantwortlichkeit hier und dort, riesige Medienwelle mit wenig Informationen, viele (Twitter-) Bilder ohne Kontext und Reporter mitten zwischen Trümmerteilen, die lieber weinende Betroffene interviewten als Licht ins Dunkel zu bringen. Und obwohl die Ukraine seit dem Konfliktausbruch von Luftüberwachung (Radar u.ä.) buchstäblich penetriert sein müsste, gibt es auch Wochen danach nichts, was irgendwie Licht ins Dunkel bringen könnte. Keine Flugschreiberauswertung, keine Radardaten, kein Abschlussbericht, im Westen ja noch nicht einmal mehr groß Artikel dazu - aus Russland hingegen einen 'Abschussbeweis'. Fraglich ist natürlich auch, ob man dem ganzen Glauben schenken dürfte, wenn man sich erinnert, wie willfährig viele Medien über die 'Weapons of Mass Destruction' im Irak berichteten.
Es gab diese Zuordnung, weil die Faktenlage zu diesem Augenblick darauf hin deutete, dass die Bande um Strelkov das Flugzeug vom Himmel holte. Du kannst dir gerne die Mühe machen um ein deutsches Mainstream-Medium zu finden, dass den Abschuss zu 100% einer Partei zugeordnet hat. Ich glaube, dass du keinen Erfolg haben wirst. Sie äußerten einfach den Verdacht. Genau so wie sie Verdacht äußern, wenn ein Anschlag auf eine jüdische Einrichtung verübt wird und der Täter vor dem Selbstmordattentat laut Zeugen "Allah akbar" schrie.
Man wusste, dass:
1) Strelkow & co. Tags zuvor eine ukrainische Maschine in großer (von MANPADs unerreichbarer) Höhe abschossen
2) Der DNR Twitter Account und eine DNR nahe Seite Tags zuvor damit prahlte ein Buk-System erbeutet zu haben (was russische Medien auch aufgriffen)
3) Strelkow am Tag des Abschusses ein Posting ins Netz stellte, in dem er prahlt wieder eine ukrainische Transportmaschine abgeschossen zu haben
4) Russische Nachrichten am Tag des Abschusses 3) betätigen:
https://www.youtube.com/watch?v=wIPkwhVHpJs
Stunden später wurden 2) und 3) gelöscht, während im russischen Fernsehen die Legende vom zweiten Flugzeug gesponnen wurde.
Die Medien gaben die Faktenlage wider und äußerten den auf der Hand liegenden Verdacht.
Die Reporter sollten Licht ins Dunkeln bringen? Wie sollten sie das bitte tun? Reporter und OSCE liefen unter Gewehrläufen, im abgesperrten Gebiet herum. Der Zugang zur Absturzstelle wurde strengstens kontrolliert und oft verweigert.
Auch hier offenbarst du Informationslücken: der Flugschreiber ist geborgen (bzw. von "Rebellen" freigegeben), ein Zwischenbericht wurde
veröffentlicht. Ein Endbericht fehlt natürlich, wieso nicht? Erst jetzt werden die Wrackteile geborgen bzw. abtransportiert.
Ansonsten gab es seitdem nicht nur das russische Fake. Ein Amateurvideo tauchte auf, in dem offensichtlich von 1 Flugzeug und einer Rakete gesprochen wird:
https://www.youtube.com/watch?v=uK76aZ4vku0 (siehe auch Ukraine-Thread).
Auch der Bellingcat-Report ist lesenswert:
https://www.bellingcat.com/news/uk-...e-separatists-buk-a-bellingcat-investigation/
Insgesamt kann ich mit deinen Einsprüchen somit nichts anfangen. Sorry.
Aber der von dir beanspruchte "bias" lässt sich auf jeden Fall feststellen.
Und was hat es mit Xavier Naido auf sich?
/
Na gut, *brofist*